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Das Ende der Rinder
Wissenschaftler lösen Metzger*innen ab
Haferdrinks von Oatly, Planted Chicken von Planted Foods oder Burger von Beyond Meat sind Vorboten eines sich abzeichnenden Innovationsschubs in der Nahrungsmittelproduktion. Rein pflanzliche Alternativen und neue Technologien könnten schon bald die herkömmliche, ressourcenintensive Herstellung von Fleisch und Milch ablösen. Aus Alt mach Neu – nur anders.
Bis 2030 wird die Zahl der Rinder in den USA um 50 Prozent sinken. Die Produktionsmengen der amerikanischen Rindfleisch- und Milchindustrie sowie der Zulieferer werden bis 2035 um fast 90 Prozent zurückgehen. Auch die Hersteller von Dünger, Pestiziden oder Landmaschinen werden diese Auswirkungen zu spüren bekommen. Es ist kein allzu grosses Wagnis, den Bankrott der Rinderzuchtindustrie vorherzusagen. Der geografische Wettbewerbsvorteil ist dann ebenfalls passé: Die grossen Exporteure tierischer Produkte wie USA, Brasilien oder Australien werden an geopolitischem Einfluss gegenüber Ländern verlieren, die derzeit von der Einfuhr dieser Produkte abhängig sind.
Bis 2035 stehen 60 Prozent des Landes, welches gegenwärtig in den USA für die Viehzucht und Tierfutterproduktion genutzt wird, für Neues zur Verfügung. Würden diese Flächen der Wiederaufforstung oder Regeneration von Böden und Pflanzen gewidmet, könnten alle derzeitigen US-Treibhausgasemissionen bis 2035 vollständig ausgeglichen werden. Ein Szenario aus der Kategorie «Es könnte so einfach sein».
Der Siegeszug der pflanzlichen Proteine – keine Frage des «ob», sondern des «wie schnell».
Molekulare Küche trifft alte Welt
Die Zukunftsforschenden des Thinktanks RethinkX geben diese Prognosen ab. Doch weshalb? Sie sehen vor allem die raschen Fortschritte und Preissenkungen bei der «Präzisionsfermentation» als wichtigsten Treiber. Mikroorganismen werden genetisch so programmiert, dass sie fast jedes komplexe organische Molekül herstellen können. Es ist also nicht das «Laborfleisch» gemeint, sondern gezielte Fermentation, wie sie bereits zur Produktion von Inhaltsstoffen oder Enzymen für Insulin, Käseherstellung, Süssstoffen, Aromen und Vitaminen angewandt wird.
Das umstrittene industrialisierte System der Tierhaltung könnte durch ein «Food-as-Software»-Modell ersetzt werden. Wissenschaftler*innen entwickeln Nahrungsmittel auf molekularer Ebene und stellen diese in Datenbanken zur Verfügung – zugänglich für Lebensmitteldesigner*innen auf der ganzen Welt.
Ist die Studie von RethinkX einfach nur Wunschdenken von Technologie-Jüngern? Oder ist da wirklich Fleisch am Knochen? Wenig überraschend sprechen Vertreter*innen der Fleisch- und Milchindustrie von einem «veganen Fantasieland». Für sie steht eben einiges auf dem Spiel: gebundenes Kapital, Geschäftsmodelle, Arbeitsplätze. Doch eben diese Macht des Status quo wurde schon bei vergangenen Disruptionen überschätzt. Wenn uns Onlinehandel, Reiseplattformen, Zimmervermittler oder Fahrdienste etwas gelehrt haben, dann die Kraft der objektiven Überlegenheit bei Preis und Qualität.
Nicht ob, sondern wann
Die Food-Disruption wird stufenweise ablaufen. Produkte mit einfachen Zellstrukturen werden zuerst ersetzt – sozusagen Hackfleisch vor Steak. Ebenso werden es Produkte wie Milch mit einer tiefen Konzentration wertvoller Nährstoffe sowie in der Natur selten vorkommende Stoffe besonders schwer haben.
Der Siegeszug der pflanzlichen Proteine hängt weniger von der Frage ab, ob eine Disruption eintritt, sondern wie schnell. Beim Betrachten der offiziellen Prognosen zur Ernährung wird rasch klar: Das heutige System führt in eine Sackgasse. Laut UNO-Prognose werden 2050 knapp zehn Milliarden Menschen ernährt werden müssen. Die Gesamtnachfrage nach ressourcenintensiven Lebensmitteln würde aufgrund höherer Einkommen zudem voraussichtlich um 70 Prozent steigen. Schwer vorstellbar, wie diese steigende Nachfrage in einer Zeit der Klimastabilisierung, Ressourcenschonung und Armutsbekämpfung befriedigt werden soll!
Auf den Geschmack gekommen
Auch der einflussreiche Report «Sustainable Food Future» des World Resources Institute sieht technologische Innovationen neben der Produktivitätssteigerung, Abfallverhinderung, Senkung des Fleischkonsums und der Wiederaufforstung als elementare Pfeiler einer globalen Strategie.
Die objektive Überlegenheit pflanzenbasierter Technologien wird deutlich. Stimmen zudem kulturelle Aspekte rund ums Essen wie Geschmack und Ästhetik sowie der Preis, sind wir Konsument*innen durchaus bereit, Neuerungen rasch zu akzeptieren. Bestes Beispiel: Haferdrinks, Fleischalternativen und Co. fluten derweil schon die Lebensmittelregale.