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Schokolade aus dem Brautank

Der Kakao aus dem Labor schmeckt wie jener vom Feld, verbraucht aber weniger Wasser und Landressourcen. Wie Start-ups den globalen Lebensmittelmarkt aufmischen – und Chancen für eine ökologischere und sozial gerechtere Nahrungsmittelproduktion aufzeigen.
Wer die Produktionshalle von Food Brewer im Innovationscampus Horgen Labs am Zürichsee betritt, spürt ihn sofort: den Pioniergeist. Hier forschen und tüfteln junge Menschen mit grossen Visionen. In weissen Kitteln hantieren sie im Labor mit Pipetten und Reagenzgläsern. Auch wenn nichts darauf hinweist: Hier werden Kakao und Kaffee hergestellt – im Labor statt auf den Feldern Afrikas, Asiens oder Südamerikas.
Das Prinzip der Zellkultivierung ist einfach: Man entnimmt einer Bohne eine Zelle, füttert sie und wartet, bis sie sich vermehrt. In den Tanks und Zentrifugen von Food Brewer entsteht eine braune, breiige Masse, die später zu braunem Kakao- oder Kaffeepulver getrocknet und gemahlen wird. Und tatsächlich: die Pralinen von Food Brewer schmecken wie – Pralinen.
Foodtech mit grossen Visionen
Food Brewer produziert das Kakaopulver oder die Couverture – die Entwicklung und die Vermarktung der Labor-Schokolade überlässt das Start-up Chocolatiers wie beispielsweise Felchlin oder Lindt. In der Branche sei sowohl grosses Interesse als auch Zurückhaltung zu spüren, sagt CEO Christian Schaub: «Viele Schokoladenhersteller wissen noch nicht, wie sie sich positionieren sollen.»
Die Weltmarktpreise für herkömmlichen Kakao sind in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. Grund: Hitze, Dürre, Klimawandel. Monokulturen, Wassermangel, Pestizide sowie fragwürdige Produktionsbedingungen und Lieferketten machen Kakao und Kaffee zu problematischen Luxuslebensmitteln. Gleichzeitig steigt die weltweite Nachfrage massiv. Schaub, der zuvor als ETH-Ingenieur viele Jahre in der Biotechnologie gearbeitet und schon mehrere Start-ups gegründet hatte, machte sich auf die Suche nach einer Lösung.
Zukunft aus Zellkulturen
Er gründete 2021 Food Brewer. Gemeinsam mit Brauereien sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelte er gleich zwei Alternativen für herkömmlichen Kakao. Eine pflanzliche Alternative, bei der Reste der herkömmlichen Kakaoproduktion fermentiert und geröstet werden. Und die Technologie mit den Zellkulturen.
Heute beschäftigt Food Brewer 20 Mitarbeitende. Der Zulassungsprozess in den USA läuft. Schaub will künftig auch Öle, Nüsse und weitere Lebensmittel im Labor herstellen.

Ein modernes Labor am Zürichsee statt einer Plantage in Übersee: Im Interview erklärt Christian Staub, CEO von Food Brewer, wie sein Start-up die Produktion von Kakao und Kaffee mit Zellkulturen revolutioniert.
Neue «alte» Lebensmittel dank neuer Technologien
Mit der Produktion von Lebensmitteln aus gezüchteten Zellkulturen steht Food Brewer fast allein da – einzig in Israel und in den USA ziehen andere Start-ups nach. Häufiger sind Versuche, Lebensmittel mit Präzisionsfermentation herzustellen. Dabei werden mikrobielle Wirte wie Hefe als «Zellfabriken» genutzt, um bestimmte Inhaltsstoffe herzustellen, die später extrahiert werden. Laut Schaub ist dieser Prozess jedoch komplex und teuer. «Ich kam deshalb auf die Idee, dass es kostengünstiger ist, die Zellen direkt aus der Natur zu gewinnen und sie dann als Ganzes zu nutzen.»
Er sieht das Potenzial der Präzisionsfermentation eher bei hochspezialisierten Proteinen und Fetten, die durch die Auswahl von Pilzen und Zellen einen hohen Mehrwert bieten könnten, insbesondere im Pharmabereich. Denn mit massgeschneiderten Proteinen lassen sich Lebensmittel und Nahrungsergänzungen mit individuell zusammengesetzten Nährstoffen produzieren.
Mit Novel Food Ökosysteme regenerieren
Während Food Brewer Luxuslebensmittel herstellt, könnte Novel Food – mit neuartiger Nahrung aus Zellkulturen und Fermentation – die weltweite Lebensmittelproduktion verändern. Diese Lebensmittel haben einen geringen CO2-Fussabdruck und verbrauchen wenig Wasser und Boden. Werden Anbauflächen weniger intensiv genutzt, können sich Ökosysteme erholen und ganze Landstriche renaturieren.
Novel Food ist nicht von verseuchten Böden betroffen, benötigt keine Pestizide, hinterlässt keinen Abfall und muss nicht über weite Strecken transportiert werden. Auch Themen wie Kinderarbeit, tiefe Löhne und hohe Profite bei Zwischenhändlern entfallen. Da die Produktion nicht an lokale Gegebenheiten gebunden ist, können diese Lebensmittel überall hergestellt werden und zur globalen Ernährungssicherheit beitragen.
Eine Frage bleibt offen: Wie wirkt sich die zunehmende Laborproduktion auf Bauernfamilien in traditionellen Anbaugebieten aus?
Fortschritt durch Präzisionsfermentation

Imagindairy – Israel
Pflanzenbasierte Milchproteine
Seit 2020 forscht das Start-up Imagindairy an der Produktion nachhaltiger, tierfreier Milchproteine durch Präzisionsfermentation. Konsumentinnen und Konsumenten nehmen die Lösung bisher eher zurückhaltend an.
Calysta – USA
Vegane Proteine für Tiere
Auch Tierfutterproteine werden durch Präzisionsfermentation hergestellt. Führend in diesem Bereich ist der US-Pionier Calysta, der mit dem Produkt FeedKind Proteine aus Erdgas und Mikroorganismen produziert.


DMC Biotechnologies – USA
Nachhaltige Kosmetika
Das US-Unternehmen DMC Biotechnologies produziert durch Präzisionsfermentation nachhaltige, biobasierte Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel oder kosmetische Wirkstoffe.
NoPalm Ingredients – USA
Palmölfreies Öl
Palmöl ist in fast allem drin – vom Shampoo bis zum Brotaufstrich. Das Biotech-Unternehmen NoPalm Ingredients stellt deshalb seit 2021 durch hefebasierte Präzisionsfermentation eine Alternative zu Palmöl her.


21ST.BIO – DÄNEMARK
Pharma
21st.Bio produziert durch Präzisionsfermentation hergestellte Proteine und Peptide auch für Biopharma-Produkte. 21st.Bio bietet seine skalierbare Technologie auch anderen Unternehmen an.

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