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Empa macht Treibhausgase aus dem All sichtbar

Neue Satelliten zeigen fast in Echtzeit auf, wo auf der Erde Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Möglich machen dies Weltkarten, die die Empa mit internationalen Partnern entwickelt. Ein Gespräch mit Empa-Forscher Gerrit Kuhlmann über die neuen Chancen aus dem All.

Gerrit Kuhlmann
Die Empa unterstützt die Europäische Weltraumorganisation (ESA) dabei, die neuen Erdbeobachtungssatelliten des europäischen Copernicus-Programms zu entwickeln. Gerrit Kuhlmann forscht seit zehn Jahren für die Empa zur Überwachung von Luftqualität und Treibhausgasemissionen. Er berät die ESA bei der Entwicklung der Copernicus-Satellitenmission.
Gerrit Kuhlmann, Ihr Forschungsgebiet ist die satellitengestützte Erdbeobachtung. Welchen Bezug haben Sie zum Weltall?
Satelliten messen innert weniger Tage die gesamte Erdoberfläche. Mit diesen Daten erstellen wir hochwertige Karten, die zeigen, wo auf der Welt die Treibhausgase CO2, Methan und Gase wie Stickoxide in die Atmosphäre gelangen. Die Bilder aus dem Weltraum geben uns eine andere Perspektive auf die Erde. Das fasziniert mich. Sieht man die Erde von oben, erhält man einen Überblick. Statt Grenzen zeigen unsere Karten das grosse Ganze auf. Das macht mir immer wieder bewusst, wie alles zusammenhängt auf der Erde.
Die Schweiz ist nicht Teil des europäischen Copernicus-Programms, die Empa darf jedoch unterstützen. Wie funktioniert Klimaschutz aus dem All?
Die Erdbeobachtungssatelliten sammeln rund um die Uhr Daten. Wir sehen beispielsweise, wo Wälder verschwinden, wo es grüner wird und wo es weniger Eis hat. Über die Jahre können wir so ein enormes Wissen über den Klimawandel aufbauen. Die neuen Satelliten werden nun auch die Messung von Treibhausgasen in der Atmosphäre ermöglichen. Es ist ähnlich wie bei der Wettervorhersage, die damals durch die ersten Wettersatelliten erheblich präziser wurde: Die satellitengestützte Messung von Treibhausgasen ermöglicht detailliertere Informationen darüber, wer wann, wo in welchem Umfang CO₂ und Methan emittiert.
Weshalb ist es so wichtig zu wissen, wo wie viele Treibhausgase ausgestossen werden?
Unsere Karten zeigen fast in Echtzeit, wo auf der Welt Treibhausgase ausgestossen werden. Diese Information unterstützt das obligatorische Reporting für die Unterzeichnenden des Pariser Klimaabkommens. Bisher berechneten sie den Wert anhand enorm aufwändiger Statistiken, etwa der Anzahl Kohlekraftwerke oder Autos in ihrem Land. Nicht jedes Land hat die Kapazitäten für solche Berechnungen. Ausserdem ist es fraglich, wie genau, wie aktuell und wie vergleichbar die Werte verschiedener Länder sind.
Die Karten werden Regierungen auf der ganzen Welt zur Verfügung stehen. Inwiefern helfen sie, das Klima besser zu schützen?
Die Daten werden hochaktuell sein. Sie ermöglichen deshalb rasche Massnahmen, um allfällige Emissionen erfolgreich zu senken. Und sie ermöglichen es Ländern, grosse Emissionsquellen zu erkennen. So sehen wir etwa, wie hoch die Emissionen eines Kohlekraftwerks sind – und ob sie den deklarierten Zahlen des Unternehmens entsprechen. Sollte es grosse Unterschiede zwischen gemeldeten und gemessenen Emissionen geben, machen die Karten dies künftig schnell sichtbar.
Wir sehen, wenn ein Ölunternehmen Methan in die Atmosphäre ablässt, statt verbrennt. Wir machen Lecks sichtbar – und wissen, ob sie tatsächlich repariert werden oder nicht. Auch lässt sich der tatsächliche Erfolg von Massnahmen kontrollieren. Wir erkennen auch, ob die Länder ihre Emissionsziele einhalten oder nicht. So ist beispielsweise die Emission von FCKW-11 seit mehreren Jahren verboten. Trotzdem wiesen Forschende durch Messungen in Südkorea weiterhin Emissionen im Osten Chinas nach und machten die entsprechende Industrie in Ostchina ausfindig. Die chinesischen Behörden wurden darüber informiert. Messungen zwei Jahre später zeigten, dass Massnahmen ergriffen worden waren, um die die Emissionen zu unterbinden. Das Beispiel stützt sich auf Messungen von Bodenstationen, während Satelliten künftig eine globale Perspektive ermöglichen.
Was macht die neuen Satelliten so besonders?
Das europäische Copernicus-Programm entwickelt eine Konstellation von drei Satelliten, die eine präzise globale Überwachung von CO₂ und Methan ermöglichen. Innerhalb von nur dreieinhalb Tagen erfassen sie die gesamte Erde mit einer Auflösung von zwei Kilometern. Die ersten beiden Satelliten sollen ab 2027 Daten liefern, die wir nutzen, um detaillierte Emissionskarten zu erstellen. Die EU stellt diese Informationen den Ländern zur Verfügung – in der Hoffnung, dass sie gezielte Massnahmen zur Reduktion ihrer Emissionen ergreifen.
Wie hilfreich werden diese Daten sein?
Sehr hilfreich. In einem ersten Schritt können wir bei CO2 zwar nur die Emissionen von Ländern und einzelnen Grossstädten, Kohlekraftwerken und Industrien messen. Im Moment laufen jedoch erste Projekte, um die Karten mit KI weiter zu verbessern, damit wir später auch hier sehr nah heranzoomen zu können. Das Ziel ist zu sehen, wie hoch der CO2-Ausstoss in einem bestimmten Kanton ist. Also dort, wo lokale politische Entscheide getroffen werden. Unsere Karten helfen dann auch, den durch Konsum verursachten CO2-Ausstoss zu verbessern.
Wie meinen Sie das?
Der grösste Anteil des CO2-Ausstosses der Schweiz wird nicht hier produziert. Unseren Fussabdruck erhalten wir viel eher über die enorm CO2-intensiven Produkte, die wir konsumieren. Künftig könnte es möglich sein, den Fussabdruck einzelner Produkte zu bestimmen – und zwar über die gesamte Lieferketten hinweg. Ein Smartphone beispielsweise enthält Seltene Metalle aus Afrika. In Taiwan werden die Chips hergestellt. In China wird das Gerät zusammengebaut. Dann kommt es nach Europa. Insgesamt ergibt dies einen beträchtlichen CO2-Fussabdruck. Konsumentinnen und Konsumenten sollten die Möglichkeit haben zu entscheiden, welche Produkte sie kaufen wollen. Dies wird Unternehmen motivieren, ihren Ausstoss zu reduzieren.
Welche Chancen bietet die klimasensible Weltraumtechnologie Tech-Firmen und Start-ups?
Das Potenzial ist enorm. Eine Anwendung, die den Fussabdruck von Produkten bestimmt, ist da nur ein mögliches Beispiel. Das europäische Copernicus-Programm stellt die Rohdaten auch deshalb zur freien Verfügung, um Innovationen zu ermöglichen. Firmen und Start-ups können sie nutzen, um Produkte und Services zu entwickeln, die ohne diese neuen Daten nicht möglich waren. Und die ein Land schlussendlich weiterbringen. Schweizer Unternehmen können die Daten verwenden, aber die Teilnahme an der Entwicklung des Systems ist stark eingeschränkt, da die Schweiz aus Kostengründen nicht Teil des Programms ist.

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