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Nachhaltig bauen oder möglichst wenig neu bauen?

Before and after... The transofrmation of a building in the Grand Parc, Bourdeaux. Photo: Philippe Ruault

Der Industrie- und Bausektor ist für 31% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Besonders ins Gewicht fällt die Produktion von Zement, Hauptbestandteil bei der Herstellung von Beton. Zement trägt 9% zu den globalen Co2-Emissionen bei, etwa dreimal so viel wie die Flugindustrie. Die Reduzierung von Emissionen beim Bauen braucht kreative Lösungen, von recyclebaren Neubauten über Einsatz von emissionsarmen Materialien bis zur Umwandlung und Umnutzung von Altbauten.

«Es geht um Bauten, die sich künftig in Einzelteile zerlegen lassen. Es geht um Betonelemente aus dem 3D-Drucker, um Recycling-Beton, um Bauen mit Holz – die Liste ist sehr lang.»

Martin Neukom, zürcher baudirektor

Um was geht es

In der der Gebrauchsphase – also der Zeit, während der ein Gebäude bewohnt wird – haben Neubauten normalerweise eine bessereTreibhausgasbilanz als Altbauten. Das heisst aber nicht, dass neu bauen nachhaltiger ist.
Erstens: Die Renovation eines Altbaus führt ebenfalls zu emissionsarmem Wohnen bei gleichzeitigem Erhalt von Kulturgut. Zweitens: Bei Wohnhäusern macht Graue Energie ungefähr 20% des Energieverbrauchs des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes aus. Graue Energie ist die Energie, welche für den Bau eines Gebäudes aufgewendet wird, also für die Produktion und den Transport der Baumaterialien und für den Energieverbrauch während dem Bau. Wenn ein Gebäude nun vor dem Ende seines «natürlichen» Lebenszyklus abgerissen wird, wird dieser Anteil grösser (je früher der Abriss, desto grösser). Die investierte graue Energie geht mit dem Abriss verloren. Drittens: Durch einen Abriss entstehen riesige Mengen an Abfall. In der Schweiz sind es 80 bis 90 Millionen Tonnen, was 84% des Schweizer Abfallaufkommens ausmacht. Bauabfälle können teilweise rezykliert werden – das Recycling führt aber meist zu einer Abwertung des Materials. Und auch in Recyclingprozessen steckt graue Energie.

«Reduce, reuse, recycle»: Dieses Prinzip kennen wir bei Petflaschen, doch dasselbe gilt beim Wohnen. «Recycle» kommt erst an dritter Stelle, davor steht «reduce» (weniger Wohnraum beanspruchen) und «reuse» (das Wiederverwenden von Altbauten).

Warum ist das wichtig

In vielen Schweizer Städten, zum Beispiel Zürich, herrscht seit Jahren Wohnungsnot, besonders bei bezahlbaren Wohnungen. Ausserdem hat sich die Bevölkerung durch die Revision des Raumplangesetzes 2013 eindeutig gegen die Zersiedlung der Schweiz ausgesprochen: Bereits eingezontes Bauland soll genutzt werden und Gemeinden sollen nach innen verdichten. In diesem Sinne wird Verdichtung meist als Vorwand für den Abriss angegeben. Auch weltweit beobachten wir eine Abreisswut, die meist mit tieferen Kosten begründet wird. Doch es lohnt sich genau hinzuschauen: Werden nämlich kleine, günstige Wohnungen durch neugebaute weiträumige Wohnräume ersetzt, wird zwar die Quadratmeterzahl erhöht, jedoch nicht mehr Wohnraum geschaffen. Ausserdem ist Verdichtung auch ohne Abrissbirne möglich: Alte Gebäude können umgenutzt, erweitert und neuen Bedürfnissen angepasst werden. So wird Recycling nicht zur Haupt- sondern nur noch zur Notlösung. Anne Lacaton und Jean-Philipp Vassal, die Gewinner des Pritzker-Preises für Architektur 2021, verfolgen zum Beispiel eine «Niemals-abreissen»-Strategie, mit welcher sie durch Umwandlung von vernachlässigten Gebäuden in Frankreich Bekanntheit erlangten.

Gleichzeitig darf nicht vergessen werden: um weltweite Herausforderungen wie Zugang zu sauberem Wasser, zu Sanitätsanlagen, und zu bezahlbarem Wohnraum zu lösen, braucht es in vielen Teilen der Welt Infrastruktur, die erst noch gebaut werden muss. Zement und Beton werden dabei eine wichtige Rolle spielen, weshalb es essenziell ist, dass diese Industrie dekarbonisiert wird. Die «Global Cement and Concrete Association» hat dazu eine Net Zero Roadmap zur Dekarbonisierung bis 2050 erstellt und unterstützt in einer ersten Initiative Indien, Thailand, Ägypten und Kolumbien bei ihren Fortschritten zur Emissionsreduktion.

Die Globalance-Sicht

Der Megatrend Ressourcenknappheit führt unweigerlich zum Thema Kreislaufwirtschaft. Zur Schonung der Umwelt und um zukünftiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, müssen die zur Verfügung stehenden Ressourcen bestmöglich genutzt werden. Je länger sie im Kreislauf bleiben, desto besser. Es benötigt neue Märkte für gebrauchtes Baumaterial und neue Technologien, um diese Materialien aufzubereiten. Auch Innovationen für einen energie- und ressourcenschonenden Bau mit Fokus auf zukünftiger Rezyklierbarkeit, sind essenziell. Das Potential sich als Unternehmen heute eine Vorreiterrolle zu sichern, ist riesig.

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Bildhinweis: Transformiertes Gebäude von Lacaton & Vassal im Grand Parc, Bordeaux (Foto © Philippe Ruault)